Arzttarif Tarmed: Streit unter den Ärzten eskaliert |
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13.07.2003, Der neue Arzttarif Tarmed spaltet die Schweizer Ärzte. Eine Minderheit will den Tarif nun auf juristischem Weg stoppen. Am 1. Januar 2004 bricht im Gesundheitswesen ein neues Zeitalter an. Der Tarmed soll eingeführt werden, der erste einheitliche Arzttarif der Schweiz.
Vor Wochenfrist machte die "NZZ am Sonntag" publik, dass die Privatspitäler den Tarmed nicht unterzeichnen wollen. Jetzt versucht eine Minderheit der Ärzte, den Tarif zu Fall zu bringen. Angeführt wird die Attacke von der FMS, der Vereinigung der operationell und invasiv tätigen Spezialärzte. Die FMS wurde vor fünf Jahren eigens für den Kampf gegen den Tarmed gegründet. Sie ist die Lobby jener Ärztegruppen, die heute zu den Besserverdienenden gehören. Die FMS befürchtet Einkommenseinbussen, weil der Tarmed ihre Arbeit tiefer bewertet, als die bisherigen kantonalen Arzttarife liegen. Unter anderen sind Urologen, Orthopäden, Radiologen, Gynäkologen und Neurologen der FMS angeschlossen - insgesamt rund 5ooo Ärzte.
Innerhalb der Ärztevereinigung FMH ist die FMS-Fraktion unterlegen: In einer Urabstimmung sagten die 29000 FMH-Mitglieder im März 2002 grossmehrheitlich Ja zum Tarmed. Dies überrascht nicht, weil die Allgemeinpraktiker - die grösste Ärztegruppe - im Unterschied zu den FMS-Ärzten vom neuen Tarif profitieren. Auf der Basis der Urabstimmung hat die FMH den Tarmed-Rahmenvertrag mit den Krankenkassen unterzeichnet.
Diese Unterschrift sei ungültig, weil die Urabstimmung nicht rechtens sei, argumentiert jetzt die FMS. Damit sei dem Tarmed "grundsätzlich der Boden entzogen", schrieb die FMS vergangene Woche an die FMH. Die FMSSpitze um Präsident Reto Tscholl argumentiert mit dem Wortlaut der in der Urabstimmung gestellten Frage. Die Ärzte wurden damals gefragt, ob sie den Tarmed annehmen wollten, vorbehältlich eines "Re-Engineering bis zum 30. Juni 2003". Erkannte Mängel könnten auch nach der Abstimmung noch `korrigiert werden, hiess es.
Ärzte, Krankenkassen und Spitäler konnten sich bis zum 30. Juni nicht vollständig über das "Re- Engineering" einigen. Damit sei die in der Urabstimmung formulierte Bedingung nicht erfüllt, so die FMS. Deshalb müsse nun "zwingend davon ausgegangen werden, dass keine Zustimmung der Ärzteschaft zur Tarifstruktur vorliegt". Die FMS fordert einen runden Tisch, um den Tarmed neu zu verhandeln. "Wir wollen den Tarmed nicht verhindern", sagt FMS-Vizepräsident Christoph Krayenbühl, "aber wir wollen einen gerechten Tarmed". Mit dem jetzigen Tarif könnten Orthopäden, Kinderchirurgen und Traumatologen wirtschaftlich nicht überleben. Dies gefährde die medizinische Versorgung.
In den Augen von FMH-Präsident Hans-Heinrich Brunner ist die Politik der FMS "nur noch destruktiv". Der Tarmed sei nicht mehr zu stoppen, glaubt Brunner. Von einem runden Tisch will er nichts wissen. Über das Problem mit der Urabstimmung will er im Oktober die Ärztekammer (die Delegiertenversammlung der FMH) entscheiden lassen. Dort dürfte die FMS mit ihrem Anliegen erneut unterliegen, wie Krayenbühl resigniert feststellt. Deshalb droht die FMS mit juristischen Schritten gegen die Urabstimmung und damit gegen die Einführung des Tarmed. "Sollte der runde Tisch nicht zustande kommen, werden FMS-Ärzte Klage führen", kündigt Krayenbühl an.
Dass ein Richter einer solchen Klage aufschiebende Wirkung zubilligen und den Tarmed in letzter Minute stoppen würde, gilt als unwahrscheinlich. "Es ist weiterhin von einer Einführung auf den i. Januar 2004 auszugehen", sagt Sandra Schneider vom Bundesamt für Sozialversicherung.
Von einem "FMH-internen Problem" sprechen auch die Krankenkassen. Der Tarmed sei von der FMH-Spitze unterschrieben worden, sagt Peter Marbet, Sprecher des KrankenkassenVerbandes Santésuisse. Rechtlich gesehen sei der Arzttarif somit unter Dach und Fach, glaubt Marbet. Was derzeit passiere, seien bloss noch "Umverteilungskämpfe in der Ärzteschaft".
Auch Krankenkassen und Apotheker uneins
Anfang Juli hat der Verband der Krankenversicherer Santésuisse den Abgeltungsvertrag mit den Apothekern auf Ende 2003 gekündigt. Santésuisse begründete diesen Schritt mit dem grossen administrativen Aufwand, den das Abgeltungssystem mit sich bringe. Ausserdem sei der Verkauf kostengünstiger Generika durch die Apotheken ungenügend und der Beitrag zur Kostenstabilisierung viel zu tief. Zurzeit liegt er bei 2,7 Prozent des Verkaufspreises eines Medikaments; Santésuisse fordert, dass die Apotheker angesichts der steigenden Medikamentenkosten mindestens 4 Prozent abliefern.
Ein vertragsloser Zustand zwischen Krankenkassen und Apothekern würde vor allem für die Patienten ein heilloses Chaos beim Medikamentenbezug bedeuten. Die beiden Parteien werden darum bald über einen neuen Vertrag verhandeln. Knackpunkt dürfte die Höhe des Beitrags zur Kostenstabilisierung sein. Die Apotheker prüfen gegenwärtig, wie hoch der Beitrag ihrer Ansicht nach im kommenden Jahr liegen sollte. Darüber hinaus prüfen die Apotheker, wie sie den Verkauf von Generika anstelle von Originalmedikamenten fördern können; Resultate liegen noch nicht vor.
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