Wird die Gesundheit zum unbezahlbaren Gut? |
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28.07.2003, Die Gesundheitskosten steigen ungebremst. Ein Ausweg ist nicht Sicht. Zu viele Interessen sind im Spiel. Ausgangslage Das 1996 in Kraft getretene Krankenversicherungsgesetz (KVG) ermöglicht der Bevölkerung den Zugang zu einer umfassenden Grundversorgung im Krankheitsfall.
FDP
Mehr Wettbewerb unter den Leistungserbringern und mehr Eigenverantwortung der Versicherten: Dies ist das Rezept der FDP zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen. Zudem beklagte sie - zumindest während der Amtszeit von Gesundeitsministerin Ruth Dreifuss - die mangelnde Führungsrolle des Bundes. Bei den KVG-Revisionsarbeiten setzte sich die Partei für die Aufhebung des Vertragszwanges und den Übergang zur monistischen Spitalfinanzierung ein, während sie den Ärztestopp als «untauglich» beurteilte. Die Selbstverantwortung der Patienten kann nach Meinung der FDP durch höhere Franchisen und Selbstbehalte (bis 1000 Franken bei Bagatellfällen) gefördert werden. Ihr neuer Gesundheitsminister Pascal Couchepin ist bereits in dieser Richtung aktiv geworden und hat die Franchisen und Selbstbehalte auf Anfang 2004 angehoben. Den Leistungskatalog der Grundversicherung möchte die FDP zumindest straffen und mit einer breiten Palette vonZusatzversicherungen ergänzen. Durch die Schaffung eines «nationalen Gesundheitsrates» verspricht sich die Partei konkrete Antworten auf die Herausforderung des Gesundheitswesens.
SP
Für die Sozialdemokraten steht nicht die Senkung der Kosten des Gesundheitswesens im Vordergrund, sondern deren - gerechtere -Verteilung nach sozialen Kriterien. Ein Ärgernis sind ihnen die Kopfprämien der Krankenversicherung, die unabhängig vom Einkommen der Versicherten erhoben werden. Mit der Volksinitiative «Gesundheit muss bezahlbar bleiben» verlangte die SPeinkommens- und vermögensabhängige Prämien und eine teilweise Finanzierung der Gesundheitskosten über die Mehrwertsteuer. Das Begehren wurde aber am 18. Mai vom Volk wuchtig abgelehnt. Nicht rütteln lassen will die SP am Leistungskatalog der Grundversicherung. Sparpotenziale sieht sie dagegen bei den Medikamentenkosten (Slogan: «1 Milliarde muss weg»), in flächendeckenden Hausarztmodellen, einer nationalen Planung der Leistungen im Gesundheitsbereich und der Schaffung einer «Einheitskasse» an Stelle der heutigen Vielzahl von Krankenkassen. Keine klare Haltung hat die SPzur Aufhebung des Vertragszwanges und zur monistischen Spitalfinanzierung. Von den Kantonen verlangt sie die volle Ausschöpfung des Bundesbeitrages für die Prämienverbilligungen.
CVP
Wie die andern bürgerlichen Parteien beklagt auch die CVPden mangelnden Wettbewerb im Krankenversicherungssystem. Mehr Wettbewerb schaffen will die Partei ebenfalls durch die Abschaffung des Vertragszwanges zwischen Ärzten und Krankenversicherungen und durch die Einführung der monistischen Spitalfinanzierung. Zusammen mit der FDP und der SVP hat eine Mehrheit der CVP- Fraktion dafür gesorgt, dass die erste Runde der 2. KVG-Revision im Nationalrat mit einem Scherbenhaufen endete. Es war dann ausgerechnet ein CVP-Mann, der als Präsident der ständerätlichen Sozialkommission die Revisionsarbeiten wieder aufs Gleis brachte. Keinen Erfolg hatte die CVP mit ihrer Forderung nach Abschaffung der Krankenkassenprämien für Kinder zur Entlastung der Familien. Erreicht werden soll jetzt zumindest eine abgestufte Reduktion. Nach Meinung der CVP sollen die Krankenversicherer zudem über die Verwendung der Prämieneinnahmen erhöhte Transparenz schaffen.
SVP
Mit der Abschaffung des Vertragszwanges und dem Systemwechsel zur monistischen Spitalfinanzierung will sich die SVP nicht zufrieden geben. In ihren Augen haben das KVG - und insbesondere Sozialministerin Ruth Dreifuss durch die ständige Erweiterung des Leistungskatalogs -versagt. Rechtzeitig auf die Wahlen hin hat die Partei deshalb eine «Prämiensenkungsinitiative» lanciert, die ein neues «Gesundheitswerk» schaffen soll, mit dem sich Bürgerinnen und Bürger wieder identifizieren können. Bei genauerem Hinsehen enthält die Initiative allerdings nichts, was nicht bereits Eingang in den parlamentarischen Prozess gefunden hätte. Lediglich bei der so genannten Straffung des Leistungskataloges wird die SVPdeutlicher als etwa die FDP. Auch wenn von der ursprünglich versprochenen 30-prozentigen Prämienreduktion nicht mehr die Rede ist, steht fest, dass die Pflichtleistungen der Grundversicherung eingeschränkt werden sollen und «individuelle Bedürfnisse» über eine freiwillige Zusatzversicherung abzudecken sind. Dieser Weg kann direkt in die Zweiklassenmedizin führen.
Fazit
Einschneidende Reformen sind in einem Konkordanzsystem immer eine schwierige Sache. Beim Gesundheitswesen kommt die grosse Zahl der Akteure erschwerend hinzu. Bund, Kantone, Krankenversicherer, Ärzte und Spitäler, die Pharmaindustrie, die Apotheker und nicht zuletzt die Versicherten mischen in diesem Geschäft mit und vertreten oft gegensätzliche Interessen. Die zweite KVG-Revision, die das Parlament im Herbst verabschieden könnte, bringt mit der teilweisen Aufhebung des Vertragszwanges und der Forderung nach Ärztenetzwerken möglicherweise einige kostendämpfende Elemente. Damit wird aber der Mengenausweitung medizinischer Leistungen und den kostensteigernden Effekten des medizinischen Fortschritts noch kein Riegel geschoben. Wir werden weitere Jahre mit «Prämienschocks» leben müssen.
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