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Ärzte übermarchen mit ihren Rechnungen

 

01.02.2004, Seit der Einführung des Arzttarifs Tarmed steigen die Kosten rasant Die Erfahrungen aus den ersten neun Monaten mit dem Arzttarif Tarmed zeigen einen massiven Kostenschub.

Grund dafür ist nicht der Tarif selber. Vielmehr hauen Ärzte mehrerer Fachgruppen bei der Verrechnung nach dem neuen System über die Stränge: Sie stellen Notfallrechnungen, die teurer vergütet werden, obwohl medizinisch kein Notfall vorliegt. Sie rechnen ihre Arbeitszeiten teilweise doppelt ab. Und sie schreiben Extraleistungen auf, die bereits in einer Pauschale abgegolten werden.

Nach den Kalkulationen der Suva liegt der Kostenanstieg seit der Tarmed-Einführung in der Unfallversicherung am 1. Mai 2003 bei einzelnen Disziplinen bei bis zu 13,5 Prozent. Toleriert sind in der 18-monatigen Einführungsphase maximale Abweichungen von plus fünf Prozent. Der neue Tarmed umfasst 4500 schweizweit einheitliche ärztliche Leistungen (Taxpunkte), die im Unfallgeschäft mit einem schweizweit und im Krankenversicherungsgeschäft mit einem kantonal einheitlichen Preis (Taxpunktwert) abgegolten werden.

Einige Ärzte scheinen die Einführungsphase gezielt zu Einkommenssteigerungen zu nutzen. Bei anderen herrscht zum Teil eine «erschreckende Unkenntnis» darüber, was gemäss Tarmed abgerechnet werden kann und was nicht, wie es bei der Verbindung der Schweizer Ärzte FMH heisst. FMH-Präsident Hans- Heinrich Brunner schätzt, dass der Kostenanstieg bei den gestellten Arztrechungen im Bereich Unfall- , Militär- und Invaliditätsversicherung gegenüber dem alten System bisher bei «irgendwo zwischen 10 und 20 Millionen» Franken liege.

Die Versicherer drohen mit einer Absenkung des Taxpunktwertes

Suva-Tarifspezialist Beat Huwiler will zu solchen Schätzungen nichts sagen, obwohl er die Daten bestens kennt. Huwiler sitzt in der so genannten «Assessment-Kommission», dem mit Versicherungsvertretern und Ärzten besetzten Kontroll- und Sanktionsgremium für den Tarmed. Immerhin nennt Huwiler die «Schuldigen» unter den Ärzten: Die Orthopäden, die Chirurgen und vor allem die Allgemeinpraktiker übermarchen deutlich bei ihren Rechnungen.

«Die Assessment-Kommission hat den drei Grundversorger-Gesellschaften die Auflage gemacht, ihre Mitglieder über die bedrohliche Kostensteigerung in ihrem Fachgebiet zu warnen.» So heisst es in einem Schreiben, das in diversen Publikationsorganen der Ärzteschaft kursiert.

Laut Huwiler hat die «Assessment-Kommission» im Dezember verlangt, dass die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Medizin (SGAM) eine Warn- und Aufklärungskampagne startet. SGAM- Präsident Jacques de Haller hat umgehend reagiert. In verschiedenen Artikeln der eigenen Zeitschrift hat die Verbandsspitze ihre Mitglieder in letzter Zeit zur Disziplin gemahnt. Das hat de Haller in den eigenen Reihen Schelte eingebracht.

Überhaupt kriselt es innerhalb der Ärzteschaft wegen Tarmed. Die drei Vertreter der Ärzteschaft in der «Assessment-Kommission» haben Mitte Dezember mit sofortiger Wirkung ihren Rücktritt erklärt. Nicht etwa wegen eines Krachs mit der Suva, sondern wegen eines Streits mit der FMH-Spitze. Nach wie vor torpedieren einzelne Fachgruppen die Anwendung des Tarmeds. Zwei der drei in die Kommission gewählten Ärztevertreter sind seit Jahren erklärte Gegner des Einheitstarifes.

Die Suva, die Militär- und die Invalidenversicherung drohen offen mit einer Absenkung des Taxpunktwertes, um gegen einkommenssteigernden Verrechnungsaktivitäten der Ärzte vorzugehen. Die Versicherer wollen laut Beat Huwiler allerdings noch zwei Monate lang abwarten, ob die Disziplinierungskampagnen der Ärzteorganisationen wirken. Gleichzeitig laufen Diskussionen über eine gezielte Bestrafung der Schuldigen. SGAM-Präsident Jacques de Haller wollen so die Maximalstrafe Taxpunktwertsenkung um gehen, die eine Art Sippenhaftung darstellt. Huwiler signalisiert Gesprächsbereitschaft: «Wir wollen, wenn immer möglich, spezifisch bei Gruppen von Leistungserbringern oder einzelnen Leistungsgruppen ansetzen.»

Die Anwendungsprobleme im Unfallversicherungsgeschäft sind ein deutliches Indiz, was im viel grösseren Bereich der Krankenversicherung nach der Tarmed-Einführung am 1. Januar noch kommen könnte. CSS-Sprecher Stephan Michel: «Wir haben schon im letzten Jahr davor gewarnt, dass das Kostenneutralitäts-Konzept durch bewusste Steuerung der Rechnungsstellung unterlaufen wird.»

Die Versicherer rechnen damit, dass sich die Ärzte sich in den ersten 18 Monaten noch zurückhalten. Dafür kommt der grosse Kostenschub Mitte nächstes Jahr. Diese Einschätzung wird sich wohl bewahrheiten: Laut FMH-Präsident Hans Heinrich Brunner werden auf diesen Termin «offensichtliche Konstruktionsfehler im Tarmed behoben»; sprich die Entschädigungen für einzelne Arztleistungen verbessert.

Hinweis der Redaktion: Die Bildrechte liegen beim jeweiligen Herausgeber.


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