Unlust bei der Reform des Gesundheitswesens |
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22.09.2004, Session der eidgenössischen Räte - «Wir beschäftigen uns bei der Revision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) praktisch nur noch mit der Frage, wer was zu bezahlen hat, aber wir senken keine Kosten», stellte Ständerat Christoffel Brändli (Graubünden, svp.), Präsident des Krankenversicherungsverbandes Santésuisse, am Dienstag in der kleinen Kammer konsterniert fest.
Quer durch die Reihen herrschte Unlust im Ständerat, der sich mit Reformen im Gesundheitswesen befasste, die eigentlich gar keine sind. Beschlossen wurden die Verlängerung eines Gesetzes über die Spitalfinanzierung mit bloss provisorischem Charakter, die Fortführung des heutigen Risikoausgleiches, der nach Auffassung von verschiedenen Wissenschaftern den Anforderungen nicht mehr genügt, die Verlängerung des Zulassungsstopps für Leistungserbringer, mit welchem junge Ärzte benachteiligt werden, und eine Übergangslösung bei der Pflegefinanzierung, die sich auf das Einfrieren der heutigen Tarife beschränkt. Neu eingeführt wird einzig eine Versichertenkarte, mit welcher administrative Abläufe zwischen Versicherungsgesellschaften, Patienten und Leistungserbringern vereinfacht werden sollen. Ausserdem verdoppelte der Rat den Selbstbehalt.
Nun zeigen sich die Nachteile, die mit einer Aufsplittung der verschiedenen Reformvorschläge in eine Vielzahl von Vorlagen verbunden sind: Auf die Idee, die Erhöhung des Selbstbehaltes mit der Förderung von Managed-Care-Modellen zu koppeln, wird beispielsweise verzichtet, weil über die beiden Vorschläge in getrennten Schritten entschieden wird. Anderes, etwa die Einführung der Vertragsfreiheit zwischen Ärzten und Versicherern, wird bereits wieder mit anderen Elementen der Revision verknüpft, weil die verschiedenen Fragen eng zusammenhängen und sich nicht isoliert behandeln lassen. Und am Ende ist nicht auszuschliessen, dass sich populäre Massnahmen - etwa der Ausbau der Prämienverbilligung - durchsetzen, während kostendämpfende, aber umstrittene Vorschläge zu Fall gebracht werden. Die Verantwortung dafür lässt sich nicht eindeutig zuordnen, und einen einfachen Ausweg aus der verfahrenen Situation gibt es nicht. Doch letztlich gehört es zu den Aufgaben von Bundesrat Pascal Couchepin, dafür zu sorgen, dass bei allen taktischen Überlegungen eine Strategie erkennbar bleibt, die wirkliche Reformen mehrheitsfähig macht.
Kleine Pensionskassen gestärkt Der Nationalrat befasste sich am Dienstag mit hochtechnischen Details im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), welche aber von einiger Bedeutung für das Geschäft mit der beruflichen Vorsorge sind. In der Differenzbereinigung ist zwischen den Räten eine Kontroverse darüber entstanden, ob für die autonomen, also keiner Lebensversicherung angeschlossenen Sammelstiftungen die Aufsichtsregeln des VAG oder jene des Gesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) gelten sollen. Das ist für die autonomen Sammel- und Gemeinschaftsstiftungen, die die berufliche Vorsorge vor allem für kleine und mittlere Unternehmen anbieten, entscheidend, weil das VAG in Bezug auf die Solvenz und die Sicherheit der Guthaben strenger ist. Eine Unterstellung unter das VAG hätte deshalb kostentreibende Wirkung, welche nach Ansicht der kleinen Pensionskassen für diese existenzbedrohend sein könnte. Die Versicherungsunternehmen verlangten dagegen gleich lange Spiesse für alle.
Der Nationalrat hielt - trotz intensiven Lobbyings von beiden Seiten - an seiner bisherigen Haltung fest, wonach die autonomen Sammelstiftungen vom VAG ausgenommen werden sollen. Auch ein Kompromissvorschlag der Kommission wurde abgelehnt. Der Nationalrat wollte damit eine Vielfalt von Anbietern im Bereich der beruflichen Vorsorge gewährleisten und die Konkurrenz gegenüber den Lebensversicherern stärken. An einer weiteren Bestimmung, wonach die BVG-Regeln auch für Versicherungen, die Leistungen für Einrichtungen der beruflichen Vorsorge erbringen, Vorrang haben sollen, wurde ebenfalls festgehalten.
Im Gesundheitswesen auf eine Karte gesetzt Ständerat heisst KVG-Revision gut Vorsitz: Fritz Schiesser (Glarus, fdp.)
rom. Bern, 21. September - Der Ständerat befasst sich am Dienstag mit der Teilrevision des Krankenversicherungsgesetzes (KVG). Wie die Berichterstatterin Christiane Brunner (Genf, sp.) bemerkt, hat der Schiffbruch der früheren Vorlage im Nationalrat den Reformbedarf nicht beseitigt. Die Kommission hat sich dem vom Bundesrat vorgeschlagenen schrittweisen Vorgehen angeschlossen. Damit kommt man wohl eher zum Ziel. Noch zu keinem Schluss ist die Kommission in der Frage der Prämienverbilligung gekommen. Dieses Problem soll deshalb erst in der Wintersession behandelt werden.
Erika Forster (St. Gallen, fdp.) sieht in der Aufteilung der Revision in verschiedene Teilaspekte die Gefahr, dass man die Strategie aus den Augen verliert. Allerdings müssen jene Gesetzesänderungen an die Hand genommen werden, die keine zeitliche Verzögerung erlauben. Das gilt für die Vertragsfreiheit nicht. Sie wäre allerdings die weit vernünftigere Lösung als der Zulassungsstopp für neue Ärzte.
Christoffel Brändli (Graubünden, svp.) plädiert vor allem dafür, dass es keine weiteren Verlagerungen der Kosten zulasten der Prämienzahler gibt. Die Schwerpunkte Spitalfinanzierung, Prämienverbilligung, Vertragsfreiheit usw. warten weiterhin auf zweckdienliche Lösungen. Finden wir sie nicht, werden die Prämien weiterhin steigen. Im Moment müssen wir uns leider mit dem Allerdringlichsten begnügen.
Christiane Langenberger (Waadt, fdp.) ist überzeugt, dass der Risikoausgleich zwischen den Kassen nach wie vor nötig ist. Problematisch ist hingegen die Verlängerung des Ärztestopps, der den Einstieg von Jung-Medizinern ins Berufsleben verhindert und kaum wesentliche Einsparungen bewirkt. Immerhin ist die Massnahme zeitlich befristet.
Philipp Stähelin (Thurgau, cvp.) stellt nüchtern fest, dass mit den heutigen Vorlagen einfach festgeschrieben wird, was schon bisher gilt. Es geht weiter im gewohnten Tramp. Die Lustlosigkeit ist mit Händen zu greifen. Nach dem letzten Crash könnte eine Lösung mit Teilpaketen tatsächlich einleuchtend sein. Die grossen Probleme hängen jedoch eng zusammen, und mit dem jetzigen Vorgehen kommt uns die Strategie abhanden. Es wird alles Wichtige immer wieder hinausgeschoben. Mit den heutigen Vorlagen gewinnen wir Zeit, aber wir lösen keine Probleme.
Trix Heberlein (Zürich, fdp.) sieht eine gewisse Gefahr der Rosinenpickerei. Sie schliesst sich der Kritik ihres Vorredners an den Kantonen an, die sich widersprüchlich zum Problem der Prämienverbilligung geäussert haben. Im Moment redet man vor allem von Kostenverschiebungen und nicht über die echten Reformen. Anita Fetz (Basel-Stadt, sp.) unterstützt den Bundesrat bei seinen kleinen Schritten. Wir müssen jetzt die Nerven behalten, denn den sogenannten Befreiungsschlag gibt es auf diesem Gebiet mit den vielen Playern nun einmal nicht. Auch das Kostenwachstum aufgrund des medizinischen Fortschritts werden wir nie verhindern können. Sparpotenzial sieht die Votantin hingegen unter anderem bei der späteren Aufhebung des Vertragszwangs.
Eugen David (St. Gallen, cvp.) warnt davor, die Vorlage zu unterschätzen. Sie enthält wichtige Punkte, auf denen dann aufgebaut werden kann. Es wäre allerdings unklug, die Erhöhung der Kostenbeteiligung zum heutigen Zeitpunkt separat zu behandeln. Diese Teilvorlage muss im Kontext der Prämienverbilligung und der Kostendämpfungsmassnahmen diskutiert werden. Urs Schwaller (Freiburg, cvp.) befasst sich mit den verschiedenen Modellen zur Prämienverbilligung, deren Beratung auf die Wintersession verschoben wurde.
Bundesrat Pascal Couchepin sieht sich ein bisschen an die Postkutsche am Gotthard mit in verschiedene Richtungen strebenden Pferden erinnert. Allerdings wollen heute 247 Personen auf den Kutscherbock - 246 Parlamentarier und ein Bundesrat. Das KVG ist eigentlich kein schlechtes Gesetz. Die Vertragsfreiheit wird das zentrale Element sein, um einen Innovationsschub auszulösen. Sie ist das eigentliche Ziel der Reform. Daraus werden neue Angebote entstehen, wie wir es bei der Liberalisierung des Telekommunikationsbereichs erlebt haben. Im Zusammenhang mit der verschobenen Diskussion über die Prämienverbilligung gibt es doch langsam Zweifel, ob sich ein gerechtes, zentrales System finden lässt. Vielleicht ist es tatsächlich besser, den Kantonen einfach die entsprechenden Gelder unter gewissen Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen und auf ein sogenanntes Sozialziel zu verzichten.
Detailberatung Bei der folgenden Detailberatung der ersten Teilvorlage geht es unter anderem um die Einführung einer Versichertenkarte. Diese Karte auf schweizerischer Ebene erfüllt die Voraussetzungen einer europäischen Versicherungskarte, wie Berichterstatterin Christiane Brunner (Genf, sp.) erläutert. Sie sollte letztlich zu einer eigentlichen Gesundheitskarte ausgebaut werden. Für Eugen David (St. Gallen, cvp.) ist das Problem der Datensicherheit noch nicht gelöst. Es gibt keine Garantie, dass nicht falsche Daten auf die Karte kommen, auf die dann im Notfall zurückgegriffen wird. Auch wie die Mutationen vorgenommen werden, ist nicht geregelt.
Christiane Brunner (Genf, sp.) verweist darauf, dass der Bundesrat den Zugriff auf die Daten und deren Bearbeitung regelt, was Bundesrat Pascal Couchepin mit aller Sorgfalt tun will.
Anschliessend geht es um die Verlängerung des Zulassungsstopps um bis zu drei Jahre. Bundesrat Pascal Couchepin räumt ein, dass niemand den Ärztestopp als besonders intelligente Massnahme betrachtet. Aber einfach nichts zu tun, geht auch nicht. Es dürfte auch nicht wahr sein, dass damit Jugendliche vom Medizinstudium abgehalten werden. Die Studentenzahlen gehören im Vergleich zur Bevölkerung zu den höchsten der Welt. Es kann deshalb keine Rede sein von einem drohenden Ärztemangel.
In der Gesamtabstimmung wird diese Teilrevision des KVG mit 34 zu 0 Stimmen gutgeheissen. Die Vorlage geht an den Nationalrat. Anschliessend geht es um die zweijährige Verlängerung der Übereinkunft zwischen Kantonen und Krankenversicherungen zur Spitalfinanzierung. Mit 33 zu 0 Stimmen wird dieser Teil der Vorlage diskussionslos genehmigt. Schliesslich präsentiert die Gesundheitskommission ein dringliches Bundesgesetz, mit dem die heutigen Tarife für Spitex und Heime grundsätzlich zwei Jahre weitergeführt werden sollen, allerdings unter Anpassung an die Teuerungsentwicklung. Mit 34 zu 0 Stimmen wird auch diese Vorlage gutgeheissen.
Der Ständerat befasst sich dann mit der Kostenbeteiligung der Patienten, dem Selbstbehalt und der Franchise.
Erika Forster (St. Gallen, fdp.) stellt dazu fest, dass mit einem höheren Selbstbehalt das Konsumverhalten beeinflusst werden soll. Chronischkranke sind davon nicht betroffen. Die Kommission hofft, mit der Verdoppelung des Selbstbehalts auf 20 Prozent (Obergrenze 700 Franken pro Jahr) die Arztbesuche in Bagatellfällen eindämmen zu können. Simonetta Sommaruga (Bern, sp.) lehnt diese einseitigen Einsparungen auf dem Buckel der Versicherten ab. Eine Erhöhung des Selbstbehalts ohne flankierende Massnahmen führt einfach zu einer Mehrbelastung der Kranken. Die Kostensteuerung ist nur im Zusammenhang mit Managed Care sinnvoll. Deshalb soll die Erhöhung des Selbstbehalts erst mit den alternativen Versicherungsmodellen behandelt werden.
Berichterstatterin Erika Forster (St. Gallen, fdp.) erinnert daran, dass die Versicherer bereits heute besondere Versicherungsformen anbieten und die entsprechend Versicherten mit tieferen Selbstbehalten belohnen können.
Alain Berset (Freiburg, sp.) kann jedoch mit diesen isolierten Sparmassnahmen nichts anfangen. Die Eigenverantwortung soll zwar gestärkt werden. Man kann sich zum Beispiel fragen, ob es sinnvoll ist, dass bei jeder Grippe ein Arztzeugnis eingeholt werden muss. Bundesrat Pascal Couchepin verteidigt den Vorschlag als soziale Lösung: Gesunde werden etwas mehr belastet, Kranke weniger. Mit 30 zu 7 Stimmen wird der Rückweisungsantrag Sommaruga verworfen.
Ohne weitere Diskussionen wird dieser Teil der KVG-Revision mit 26 zu 2 Stimmen (10 Enthaltungen) genehmigt. Die Vorlage geht nun an den Nationalrat.
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